Netztarifierung für die Energiewende

Die Schweiz produziert immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen und konsumiert immer mehr Elektrizität. Besonders Photovoltaik-Anlagen auf privaten und öffentlichen Dächern sowie die Elektromobilität prägen die Energiewelt der Schweiz zunehmend. Bereits 2021 wurde im Versorgungsgebiet der BKW zu Spitzenzeiten mehr Strom aus Photovoltaik als aus Wasserkraft produziert. Diese Veränderung der Stromproduktion und des -konsums bringt hohe Anforderungen ans Stromnetz mit sich. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die dezentrale PV-Produktion effizient in das Stromnetz integriert wird. Die Quersubventionierung des Erneuerbaren-Ausbaus über Netztarife, wie sie die heutige Regulierung herbeiführt, muss abgeschafft werden. Mit leistungsbasierten Netztarifen ist die Verursachergerechtigkeit der Kostentragung durch die Netznutzer zu stärken. Unsere Argumente und Antworten zu weiteren Fragen liefert das folgende FAQ.

Die BKW sieht die Notwendigkeit, dezentrale Produktion auszubauen, um die im Inland produzierte Strommenge zu erhöhen. Wichtig dabei ist, dass die Effizienz des Gesamtsystems von Produktion und Netz erhöht wird und Produktion und Verbrauch in Einklang gebracht werden. Die Nachfrage nach PV-Anlagen ist aktuell sehr hoch und wird auch in Zukunft weiter steigen. Die Produzentinnen und Produzenten wollen nicht mehr nur ihren Eigenverbrauch decken, sondern vermehrt den Strom am Markt verkaufen. Eine Quersubventionierung dieser PV-Anlagen durch Kunden ohne PV-Anlagen, also eine Förderung über die Netztarifierung, ist zu vermeiden. Viel dringlicher muss auf eine kosteneffiziente Integration der erneuerbaren Energien ins Netz fokussiert werden. Hierbei sind insbesondere die abgeltungsfreie Abregelung von PV-Anlagen (Peak-Shaving) und eine Netztarifierung auf Basis der Anschlussleistung zu berücksichtigen (beide Punkte werden in den untenstehenden Fragen erläutert).

Der Ausbau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien aber auch die steigende Elektrifizierung des Verkehrs und der Wärmeerzeugung machen einen Ausbau des Stromnetzes nötig. Der Wechsel der Produktion von zentralen Anlagen zu dezentralen Prosumern verändert das gesamte System. Gerade das Laden von Elektroautos führt zu einer neuartigen Netzbelastung, wenn viele Personen gleichzeitig ihre Autos aufladen. Die Politik muss folgende zwei Fragen beantworten: Wie kann dieser Ausbau und damit die Kosten für alle Netznutzer minimiert werden? Wie lassen sich die Kosten zwischen den verschiedenen Verbrauchern fair verteilen?

Die Stromnetze sind grundsätzlich auf die Spitzenlast ausgelegt, müssen also so dimensioniert sein, dass sie die maximalen Lastspitzen, sogenannte Peaks, der Produktion und des Verbrauchs bewältigen können. Daher sind insbesondere Situationen zu verhindern, in denen sehr grosse Mengen Strom ins Netz eingespeist oder aus dem Netz konsumiert werden. Produktionsseitig können hier Instrumente wie das sogenannte Peak-Shaving – das fixe Abregeln von kleinen PV-Anlagen beziehungsweise die variable Abregelung von grossen Anlagen – einen wesentlichen Beitrag zur Absenkung des Netzausbaubedarfs leisten. Dies bedeutet z.B., dass eine PV-Anlage zwar voll ausgebaut wird, ihre maximal ins Netz abgegebene Leistung jedoch auf 70% limitiert und somit abgeregelt wird. Denn die volle Ausschöpfung von PV-Anlagen erzeugt nur 3% mehr Energie und dies vor allem im Sommer, wenn die Energie im Überfluss vorhanden ist und somit praktisch keinen Wert hat. Diese minimale zusätzliche Energieproduktion verursacht aber rund 40% der Netz-Ausbaukosten. Auch Befürworter eines massiven PV-Ausbaus fordern diese Massnahme (Siehe BKW-Blog zum Sachbuch von Nationalrat Roger Nordmann).

Verbrauchsseitig werden bei der E-Mobilität hohe Lastspitzen produziert, wenn die Fahrzeuge geladen werden. Privatkunden mit batterieelektrischen Personenwagen brauchen in der Regel keine Schnellladestation, welche das Laden in kurzer Zeit ermöglichen. Zudem verursachen zu gross dimensionierte Ladestationen unnötig Kosten im Verteilnetz (Ausbau der Netzinfrastruktur). Denn je grösser der Anschluss beziehungsweise die Leistung – also «je dicker» die Leitung ist – desto höher sind die Kosten für das gesamte Stromnetz. Nur wenn ein (überhöhter) Leistungsbedarf via Netznutzung bezahlt werden muss, erhält der Kunde somit den direkten Anreiz, seinen Leistungsbedarf zu hinterfragen und die für das Gesamtsystem kostenoptimierte Lösung zu wählen.

Jeder Stromverbraucher zahlt für die Nutzung des Stromnetzes ein Entgelt. Dieses sorgt dafür, dass die jährlichen Kosten des Netzes auf die Endverbraucherinnen und Endverbraucher verteilt werden. Grundlage für das Entgelt ist heute hauptsächlich die Menge des aus dem Netz bezogenen Stroms. Diese Politik, den Eigenverbrauch auch indirekt über Netztarife zu fördern, hat jedoch dazu geführt, dass die heutige Tarifierung nicht verursachergerecht ist. Denn Verbraucherinnen mit einer eigenen Produktionsanlage beziehen über das ganze Jahr weniger Strom aus dem Netz und bezahlen bei einem Netztarif, der sich an der Bezugsmenge orientiert, auch weniger an die Netzkosten. Nichtsdestotrotz nutzen sie in den Wintermonaten – oder wenn die Sonne nicht scheint – das Netz genau gleich wie alle anderen Konsumenten. Das heisst, die Kapazität des Netzes wird für sie so gebaut wie ohne Eigenverbrauch. Da die Kosten für das Netz aufgrund des Ausbaus anfallen und nur zu einem ganz geringen Anteil infolge des Verbrauchs, spart bei der heutigen Regelung der Eigenverbrauch keine Netzkosten. Ein wichtiger Grundsatz der Tarifierung wäre jedoch das Ziel, dass jeder, der aus dem Netz Strom bezieht, an den Kosten des Netzes in dem Umfang beteiligt wird, wie er diese verursacht.

Damit die Netztarife ihre ursprüngliche Aufgabe wieder übernehmen und nach dem Verursacherprinzip funktionieren, braucht es eine Tarifstruktur, die sich hauptsächlich an der Grösse des Anschlusses ans Stromnetz (d.h. der benötigten Netzkapazität) orientiert. Am einfachsten wäre es, jede Verbraucherin bezahlt jährlich einen fixen Betrag für ihre Netznutzung gemäss ihrer physischen Anschlussgrösse. Eine solche Netztarifstruktur sorgt dafür, dass jeder Verbraucher für die von ihm verursachten Kosten aufkommt. Damit ist die Netztarifierung nicht nur fairer, sie setzt auch wieder einen Anreiz zur Kostensenkung: Die Konsumenten sparen Geld, wenn sie die (vereinbarte) Anschlusskapazität möglichst klein halten, indem sie ihren Verbrauch aus dem Netz möglichst über das ganze Jahr und den Tag hindurch gleichmässig verteilen, beispielsweise durch eine PV-Anlage ergänzt mit einer Batterie oder einem intelligenten Bezugsmanagement.

Nein. Virtuelle Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (Vorschlag vom Bundesrat im Mantelerlass) oder lokale Energiegemeinschaften, wie sie in der Politik zurzeit diskutiert werden, verfügen über Produktionsanlagen (v.a. grössere PV-Anlagen) und verkaufen die produzierte Energie innerhalb des jeweiligen (virtuellen) Zusammenschlusses. Für den Transport ihrer selbst produzierten Energie über das öffentliche Verteilnetz sollen sie – im Vergleich zu Verbrauchern, die ihren Strom am freien Markt oder in der Grundversorgung beziehen – weniger Netzentgelt zahlen.

Vereinzelt wird suggeriert, dass die virtuellen Energiegemeinschaften dem Netz nützen, da der Strom «in der Nähe» der Produktion verbraucht wird und entsprechend nicht weit transportiert werden muss. Dadurch könne der notwendige Netzausbau verkleinert werden. Dies ist nicht der Fall. Der Netzausbau richtet sich nach der angeschlossenen Verbrauchs- bzw. Erzeugungskapazität, also dem Durchmesser der Leitung, nicht nach dem Konsum oder der Nähe einer Produktionsanlage. Auch die Mitglieder von lokalen Energiegemeinschaften haben durch ihren Anschluss an das öffentliche Verteilnetz die Möglichkeit, sich jederzeit zu 100% ausserhalb ihrer Energiegemeinschaft zu versorgen, respektive in das Netz einzuspeisen. Die Teilnehmer einer solchen lokalen Energiegemeinschaft haben somit keinen Anreiz, ihren Anschluss beziehungsweise ihre Leistung zu verkleinern. Letzteres gelingt nur bei einem Wechsel zu einem rein leistungsbasierten Netztarifsystem.

Die Förderwirkung von lokalen Energiegemeinschaften dürfte je Netzgebiet und Produktionssituation sehr verschieden sein. Im heutigen Netztarifregime wäre es durch den reduzierten Netznutzungstarif fast immer attraktiv, «beim Nachbarn» Strom zu beziehen, ohne in die Reduktion des eigenen Verbrauchs investieren zu müssen. Dieser indirekten Förderung steht die Quersubventionierung durch die anderen Netzteilnehmenden gegenüber. Denn die Netzkosten nehmen durch die lokalen Energiegemeinschaften nicht ab, sie werden einfach anders auf die Verbraucher verteilt. Anreize zu einem besseren Abgleich von Verbrauch auf die Produktion sind aus energiewirtschaftlicher Sicht zu begrüssen. Sie sollten allerdings nicht auf einer Umverteilung der Netzkosten auf Konsumenten ausserhalb der Energiegemeinschaft fussen.

Viel wirkungsvoller als eine indirekte Förderung über die Netztarife wäre die vollständige Marktöffnung: Könnten alle Konsumentinnen und Produzenten ihre Anbieter und Abnehmer frei wählen, könnten innovative Strom-Produkte auf dem freien Markt angeboten werden – zum Beispiel lokaler Strom mit über die Zeit differenzierten Preisen.

Die Schweiz hat eines der sichersten Stromnetze der Welt – Stromausfälle für Konsumentinnen und Konsumenten sind eine Seltenheit. Dadurch sind einige Akteure dazu verleitet, diese Situation als gegeben anzunehmen und somit dem Netz immer mehr Aufgaben und Lasten aufzubürden. Doch die Sicherheit des Netzes ist keine Garantie. Diese wird durch hohe Investitionen von Verteilnetzbetreibern ermöglicht. Allein die BKW investiert aktuell jährlich rund 120 Mio. Franken in ihr Verteilnetz. Die Energiewende wird das Stromnetz vor grosse Herausforderungen stellen und somit den Bedarf an Investitionen noch weiter erhöhen. Es ist an der Politik, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass diese zusätzlichen Investitionen möglichst tief bleiben und fair verteilt werden.

Begriffserklärung

Eigenverbrauch

Im Eigenverbrauch wird der selbst vor Ort produzierte Strom ohne Transport über das öffentliche Verteilnetz verbraucht. Dies ist in der Regel bei einem Einfamilienhaus mit Solaranlage der Fall.

Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV)

Ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch ermöglicht es, den selbst produzierten Solarstrom gemeinsam mit Nachbarn zu nutzen. Dies erhöht den Eigenverbrauch der PV-Anlage und dadurch deren Wirtschaftlichkeit, da auf den selbst verbrauchten Strom keine Netznutzungsentgelte und Abgaben bezahlt werden müssen. Der Strom darf auch hier nicht über das öffentliche Netz transportiert werden. Der ZEV wird vom Netzbetreiber wie ein einziger Endverbraucher behandelt.

Virtueller ZEV gemäss Mantelerlass (in Diskussion)

Der virtuelle Zusammenschluss zum Eigenverbrauch ermöglicht deren örtliche Ausweitung. Der ZEV kann neben einem physischen auch einen virtuellen Messpunkt als Schnittstelle zum Netz haben. Die Produzentinnen und Verbraucherinnen des virtuellen ZEV dürfen für den «internen» Stromaustausch zwischen mehreren Gebäuden die Anschlussleitung des Verteilnetzes nutzen. Die virtuellen ZEV nutzen also die Infrastruktur des Verteilnetzbetreibers, profitieren aber trotzdem von einem höheren Eigenverbrauch und bezahlen dadurch weniger Netzentgelte.

Lokale Energiegemeinschaft (in Diskussion)

Lokale Energiegemeinschaften erhöhen die örtliche Ausweitung der virtuellen ZEV. Die Produzenten und Verbraucher optimieren den Eigenverbrauch untereinander indem sie für den «internen» Stromaustausch nicht nur die Anschlussleitungen, sondern das öffentliche Netz eines Verteilnetzbetreibers brauchen. Die räumliche Ausdehnung und etwaige Förderung über reduzierte Netztarife für den «lokalen Austausch» werden diskutiert.

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